Windrichtung 250 Grad, Windstärke 8 (36 Knoten) Kurs 310 Grad Richtung Nordwestspitze von Island. Die zweite Nacht ist hereingebrochen und der Wind orgelt weiter kräftig in der Takelage. Hoch am Wind mit 4 Quadratmeter Vorsegel und 2 Quadratmeter Großsegel, welches voll dicht geholt ist, um die großmöglichste Höhe zu laufen, geht es gegen die Wellen und im Höhenflug darüber weg. Mindestgeschwindigkeit ist 5 Knoten, um über die Wellen zu kommen.
Von Gemütlichkeit ist keine Spur. Immer wieder ziehen Nebenbänke auf. Die Gischt wird zusätzlich durch die Nebelfeuchtigkeit geschwängert. An Deck ist alles nass und auch die Kajüte wird langsam klamm.
Auf dem Plotter ist über den AIS-Daten (Automatisches Identifizierungssytem) weit und breit kein Schiff zu sehen. Ich bin Mutterseelen alleine – zum Glück! Volle Konzentration auf Tara, die ihre Schwerwetterfähigkeit unter Beweis stellt. Ihre Bewegungen bleiben weich und stabil.
Die Zugseile der Windsteueranlage (Aries) machen mir Sorgen. Das Steuerbordseil droht zu reißen, durch das Schamfilen an den Rollen ist der Mantel bereits durch und die Seele droht zu reißen. Ein Austauschen auf See ist schwierig, da man Außenbords arbeiten muss und kriminell im Sturm. Ich entscheide mich ein neues Seil anzunähen, um im Ernstfall reagieren zu können. Mit Vaseline schmiere ich die Blöcke, versuche die Seele neu zu ummanteln.
Ich lege mich schlafen, im 30-Minutenrhythmus kontrolliere ich Geschwindigkeit, Segel und Windsteueranlage. Gegen 4 Uhr morgens endschieße ich mich das neue Seil in die Aries einzuziehen. Dazu muss ich beidrehen, doch es gelingt mir nicht eine Wende zu fahren. Die Segelfläche ist zu klein um durch Wind und Wellen zu segeln. Immer wieder bleibe ich in den Wellen hängen und werde ohne Fahrt zurückgeworfen. Nach mehreren Versuchen rolle ich das Groß ganz ein und fahre eine Halse. So früh morgens schon so sportlich zu sein macht hellwach. Das Ölzeug und der Sicherheitsgurt schränken meine Bewegungen ein. Beigedreht hänge ich am wildtanzendem Heck über der Reling und versuche mit dem Bootshaken den Halteknoten am unterem Ende der Aries zu packen. Ein Balanceakt, mein Brustkorb wird an der Reling gequetscht, die Füße finden kaum noch halt am Teakdeck. Immer wieder rutsche ich mit dem Haken ab und befürchtete schon, dass ich doch die Badeleiter ausklappen muss um außenbords an der Aries das Seil durchzuziehen. Mit viel Akrobatik gelingt es mir doch noch das Seil zu packen und Stück für Stück das alte zusammen mit dem angenähten neuen Seil durchzuziehen. Der Sorge entledigt, dass Tara außer Kontrolle steuert, haue ich mich wieder in die Koje.
Irgendwann mache ich mir mein Frühstück. Im Sicherheitsgurt eingehackt stehe ich in der Pantry, schmiere Brote, schäle mein Obst. Der Wasserkessel pfeift schwankend in der kardanischen Halterung. Alles was man nicht benutzt muss sofort wieder verstaut werden, da es sonst auf dem Boden fliegt. Ich bleibe an Ort und Stelle stehen und fange an zu Frühstücken, dabei kann ich durch die vielen Fenster das schäumende Meer beobachten. Fasziniert schaue ich mir das Naturschauspiel an. Geballte Gewalt aus Wind und Wellen stürmen auf Tara zu und versuchen sie immer wieder aus dem Kurs zu werfen. Ich mache mir einen weiteren Kaffee. Plötzlich, als ich im Kühlschrank nach der Milch greifen will, kentert die Tasse mit dem kochendheißen Kaffee aus der Halterung und ergießt sich über meinem Oberschenkel. Ich fluche und versuche als erstes mein Holzboden zu trocknen bevor ich mich um meinen verbrannten Oberschenken kümmere. Es brennt ordentlich. Das hatte ich unterschätzt und schnell zeigen sich die ersten Brandblasen. Verdammte Hacke, denke ich, da haste die nächste Baustelle für die nächsten Wochen. Ich lege sofort ein nasses Taschentuch darauf und versuche es zu fixzieren. Die Kühlung tut gut und dann suche ich die Brandsalbe und schmiere mir dick den Schenkel ein.
Auch das noch, der Wind dreht immer weiter auf Nordwest, genau auf die Richtung wo ich hin will. Tara segelt einen Kurs von 360 Grad. Das ist Kurs Grönland. Auch nicht schlecht, wenn Birgit und Gabi nicht nach Island fliegen würden. Ich grübele über die weitere Tacktick. Auf Steuerbordbug liege ich 50 Grad neben meinem Ziel. Auf Backbordbug wären es 70 Grad daneben. Ich bleibe vorerst auf Nordkurs, den Eisbergen entgegen und beobachte weiter das Wettergeschehen. Das Tief scheint weiter zu ziehen. Irgendwann mache ich eine Wende. Kurs Färöer-Inseln. Ein paar Stunden später gehe ich wieder auf Nordkurs und dann wieder auf Südwestkurs. Kreuzen im Sturm nervt irgendwie, da man an die verlorenen Meilen denkt. Tara wird 50 bis 60 gesegelte Meilen auf dem Kreuzkurs liegen lassen, das bedeutet 12 Stunden später in Island ankommen. Ich bin noch zu ungeduldig das zu dulden. Das muss ich noch lernen, der Zeit weniger Aufmerksamkeit zu schenken. Akzeptieren einfach nur da zu sein, den Weg als Ziel die Priorität einräumen und nicht einen beliebigen Ankunftsort. Leichter gesagt als getan. Blöde Termine in 800 Meilen Entfernung.
Gegen Abend dreht der Wind weiter auf Nord und Tara drehte hoch am Wind segelnd immer weiter mit auf West und Nordwest. Meine Tacktick ging auf. Die geschlossene Wolkendecke zeigt ihre Grenze, in weiter Entfernung erkenne ich noch den blauen Himmel. Schön nach fast 3 Tagen grau wieder fröhlichere Farben zu sehen. Mit der stätigen Winddrehung schläft auch der Wind immer mehr ein und das Meer beruhigt sich zusehends. Langsam gleiten wir dem ersten Wegepunkt in Island entgegen. Langanes an der Nordwestspitze ist nur eine Koordinate, das erste Ziel ist Dalvik, ein Fischerhafen in Fjord von Akureyri.
Als ich abends, vor dem Schlafengehen an Deck nach dem rechten sehe, taucht plötzlich für einen kurzen Moment ein großer Tümmler neben Tara auf. Ein angenehmer Begleiter auf dem richtigen Kurs. Ich haue mich auf die Backbordsalonkoje und schlafe mit der Erkenntnis ein: Das war ein guter Tag!!!